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      Hebamme Sandra Grünwald

      Mehr als ein Bauchgefühl: 30 Jahre Hebamme - ein Interview mit Sandra Grünwald

      Man lernt nie aus – das weiß auch Sandra Grünwald. In den 30 Jahren, die sie als Hebamme arbeitet, haben sich die Fragen der Frauen kaum verändert. Ihre Antworten aber schon. Warum? Das erklärt sie am besten selbst.
      Hebamme Sandra Grünwald
      Sandra Grünwald hat von 1991 bis 1994 in Bamberg eine Ausbildung zur Hebamme gemacht. Seit 2010 arbeitet sie freiberuflich in einer Praxis in Augsburg vor allem im Bereich der Schwangerenvorsorge und Wochenbettbetreuung. www.hebammenpraxis-anima.de, Fotos: Natalie Stanczak www.sandsackfotografie.de
       

      Heute kann ich – dank der Erfahrungen, die ich in all den Jahren als Hebamme in verschiedenen beruflichen Stationen gesammelt habe – mit einem ganz anderen Wissen auf die Fragen der Familien antworten. Das schätze ich sehr. Ich denke aber auch gerne an die Anfänge und an die Erlebnisse zurück, die mich als Hebamme und damit auch als Mensch geprägt haben.

      Los ging alles, als ich 13 Jahre alt war. Meine damals schwangere Tante hat mir immer wieder von der Geburt und ihrer Hebamme erzählt. Da habe ich mal etwas genauer nachgefragt und schließlich allen verkündet: „Ich werde Hebamme.“ Und ich wurde es.

      Erinnerungen, die bleiben

      Nach meiner Ausbildung Anfang der 1990er-Jahre ging ich für zwei Jahre in die Schweiz, um dort in einem kleinen Privatspital zu arbeiten. Diese Zeit hat mich – ich war damals Anfang 20 und die Kolleginnen alle so zwischen 40 und 60 Jahre alt – sehr beeinflusst. Eigentlich wurde ich erst dort von meinen Kolleginnen so richtig zur Hebamme ausgebildet. Wir arbeiteten sehr eigenverantwortlich. Die Ärztinnen und Ärzte waren immer froh, wenn sie möglichst spät zu den Geburten gerufen wurden. (Die Hebammenausbildung wurde mit dem Hebammenreformgesetz, welches am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist, umfassend reformiert und modernisiert. Hebammen werden ab jetzt akademisch im Rahmen von Regelstudiengängen ausgebildet. Das Studium ist als duales Studium ausgestaltet.)

      Es gibt einige Geburten und Familien, die sehr präsent in meiner Erinnerung sind. Sie kommen mir immer wieder wie kleine Erinnerungsschnipsel in den Kopf. In der Klinik in der Schweiz hatte ich das erste Mal Kontakt mit dem jüdischen Glauben. Die streng gläubigen Familien, die ich dort kennenlernte, brachten alles, was für sie zu einer Geburt gehört, selbst mit: eigene Kleidung, Perücken, koscheres Essen. Alles lief sehr ruhig ab, die Männer beteten viel und die Frauen gaben während der Geburt kaum einen Ton von sich. Auf einmal lag dann das Baby zwischen den Beinen der Frau, ohne dass vorher viel zu hören war. Für mich als junge, unerfahrene Hebamme war das alles sehr eindrucksvoll.

      Auch „meine“ erste Hausgeburt vergesse ich nie. Von dieser Familie bekomme ich tatsächlich noch jedes Jahr eine Weihnachtskarte. Manche Familien sind mir schon sehr ans Herz gewachsen. Weil ich deren Schicksalsschläge miterlebt habe oder auch weil ich sie mehrmals hintereinander betreut habe. Ich kann eigentlich bei jeder Betreuung irgendetwas für mich mitnehmen. Manche Themen und Fragestellungen sind völlig neu für mich und ich muss mich erst mal schlaumachen. Zuletzt war das z.B. Stillen nach Brustkrebs.  

      „Mir hat einmal eine Frau, die ich betreut habe, in einer Karte geschrieben, dass sie sich von mir gesehen gefühlt hat. Das hat mich sehr berührt.”

      Nach zwei Jahren in der Schweiz ging ich zurück nach Augsburg. Ich wollte gerne in die Selbstständigkeit und habe mich auf die Anzeige einer Hebammenpraxis gemeldet. Meine Kollegin dort war 30 Jahre älter als ich und hat mir sehr viel für die Arbeit im Wochenbett mitgegeben. Sie war ein „Urgestein“ in Augsburg. Viele kannten sie und wollten von ihr betreut werden. 

      Zeiten ändern sich

      Wir hatten dort so richtiges „Öko-Publikum“. Die Eltern wickelten fast alle und ausschließlich in Stoffwindeln, sie wollten ambulant entbinden und trugen Naturklamotten mit gestopften Mottenlöchern. Ich mochte diese Zeit sehr. Irgendwie war damals direkt klar, wer wie drauf ist. Vieles davon ist heute wieder da, aber es ist alles irgendwie schwammiger geworden. Es dauert, herauszufinden, was die Menschen wirklich wollen.

      Auch die Situation in den Familien hat sich verändert. Am Anfang meiner Zeit als Hebamme waren Väter maximal 14 Tage zu Hause bei ihren Frauen und dem Neugeborenen. Sie mussten dafür Urlaub nehmen, Elternzeit gab es nicht. Die Frauen sind mindestens zwei Jahre zu Hause geblieben bzw. auch ganz, bis alle Kinder größer waren. Das ist heute nicht mehr so. Schwangere werden überschüttet mit Ratschlägen und Tipps, was sie dürfen bzw. vor allem, was sie nicht dürfen. Dazu kommen viele verschiedene medizinische (Vorsorge)-Angebote. Oft trägt genau das leider nicht zu einem guten Körper- oder Bauchgefühl bei. Es verunsichert die Frauen. Am Beispiel meiner 18-jährigen Tochter sehe ich aber auch, dass sich wieder etwas verändert und offener über Themen gesprochen wird, die zu lange tabu waren. 

      Ich blieb in der Augsburger Praxis ca. zwölf Jahre, bis mein zweites Kind ein Jahr alt war. Es gab schon vorher ein paar Unstimmigkeiten und der Einstieg für mich nach der Elternzeit war nicht so, wie wir es eigentlich vereinbart hatten. Ich habe dann dort meine Tätigkeit beendet und wollte zuerst ganz allein eine Praxis eröffnen. Nach einem Gespräch mit einer Kollegin stieg ich aber in ihrer Hebammenpraxis ein. Das war 2010 und ich bin noch immer da – heute mit zwei Kolleginnen. Wir sind alle drei Mütter.  

       „Trotz all der Erfahrungen, die ich als Hebamme habe, lerne ich immer wieder Neues dazu und kann etwas für mich mitnehmen.”

      Rein in die Freiberuflichkeit

      Aktuell arbeite ich freiberuflich in der Schwangerenvorsorge und betreue Familien im Wochenbett. Ich gebe Geburtsvorbereitungs- und Rückbildungskurse, unterrichte Babymassage und Pränatal-Yoga und mache Still- und Schlafberatung. Einen Vormittag biete ich Schwangerenvorsorge in einer gynäkologischen Praxis an. Zwischendurch überkommt mich immer wieder die Lust auf Hausgeburtshilfe. Doch die ständige Rufbereitschaft nimmt einfach viel Lebensqualität, Flexibilität und Freiheit. Das geht meines Erachtens nur gut, wenn man in einem festen Team aufgeteilt ist und dadurch freie Zeiten ohne Handy hat. Sonst wird man für die viele Verantwortung und Arbeit wieder zu schlecht bezahlt.

      Einen „normalen“ Arbeitstag habe ich eigentlich nicht. Manche Tage starten mit Hausbesuchen, manche mit Kursen. Manchmal habe ich alles perfekt geplant und muss alles wieder umplanen, weil jemand absagt oder ein nicht geplanter Termin dazukommt. Auch meine Arbeitszeiten schwanken und ich muss abends immer noch mal an den Schreibtisch. Jedes zweite Wochenende habe ich Dienst. Da besuchen wir alle frischen Wochenbetten, die noch nicht so lange „alleine“ gelassen werden können. Wie viel man als Hebamme verdient, liegt zum Teil auch an der Konstellation, in der man arbeitet. Generell ist unser Verdienst aber zu gering. Die hohen Versicherungskosten in der Geburtshilfe und Rentenversicherung kann kaum noch jemand tragen. Wir sind gesetzlich verpflichtet, fast den Höchstbetrag einzuzahlen, und werden wahrscheinlich nicht mehr viel davon zu sehen bekommen. 

      Viele erfahrene Kolleginnen geben ihren Beruf früher oder später auf. Ich finde das sehr schade und spüre den Hebammenmangel selbst natürlich auch. Während ich noch jede Anfrage nach Hebammenbetreuung beantworte, Vorschläge mache, was die Familien noch versuchen könnten und Hilfe in Form von Einzelberatungen anbiete, antworten viele meiner Kolleginnen gar nicht mehr. Ich kann das verstehen, es ist ja wieder Zeit, die ihnen niemand bezahlt. Sie löschen damit nicht nur die E-Mail, sondern auch leichter die Tatsache aus ihrem Kopf, wie viele Familien wieder keine Hebammenbetreuung gefunden haben. Das belastet uns nämlich auch. 

      Ich wünsche mir für uns Hebammen – und damit ja auch für die Familien – bessere Arbeitsbedingungen und eine bessere Bezahlung, z. B. dass Wochenbettbesuche nach Zeit gestaffelt werden. Ich wünsche mir mehr Kolleginnen in der Geburtshilfe, damit die Frauen unter der Geburt nicht alleine sein müssen. Ich wünsche mit bessere Wochenbettstationen, mehr stillfreundliche Krankenhäuser und hebammengeleitete Kreißsäle. Damit könnte ich jetzt ewig weitermachen! Von manchen Kolleginnen wünsche ich mir einen etwas achtsameren Umgang in Bezug auf ihre Sprache.

      Mein „Lieblingssatz“, den auch heute noch viele Hebammen sagen: „Das sind keine richtigen Wehen.“ Ich habe sicher auch so meine Baustellen, versuche mich aber immer wieder zu reflektieren. Meine damalige Kollegin aus der ersten Hebammenpraxis war sehr erfahren – aber sie war auch sehr überzeugt von ihren Ansichten. Ich möchte den Familien, die ich betreue, nie meine Ansichten überstülpen und erwarte auch nicht, dass sie alle es so machen, wie ich es vorschlage. 

      Zurück zum Bauchgefühl

      Mein Ansatz ist eher der, dass jede Familie für sich selbst herausfinden muss, was gut zu ihr passt. Ich geben ihnen natürlich schon alles mit, was sie wissen müssen, damit ihre Kinder gut aufwachsen, und bringe mein Wissen mit ein in meine Beratung. Aber ich versuche auch immer, Entfaltungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Am wichtigsten ist es mir, dass Mütter in ihre eigene Kompetenz kommen und wieder Zugriff auf ihr Bauchgefühl bekommen. Ich stelle mir schon öfter mal die Frage, was ich heute beruflich machen würde, wenn ich nicht Hebamme geworden wäre. Vor allem dann, wenn ich mit bestimmten Gegebenheiten in meinem Beruf unzufrieden bin. Aber je länger ich überlege, desto weniger finde ich eine zufriedenstellende Antwort. Sehr wahrscheinlich mag ich meinen Beruf dann doch einfach zu sehr.  

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